08.07.2011

Wandern zwischen Trend und Tradition

Kleiner Wanderessay anlässlich des
hundertsten Geburtstags der OWK-Ortsgruppe Waldbrunn

Zum Gelingen einer Feier auf dem Katzenbuckel anlässlich des hundertjährigen "Geburtstags" des Odenwaldklubs Waldbrunn trug auch das Projektbüro proreg, Michael Hahl, mit einer Geotour über den "Feuerberg" bei. Die erste Vorsitzende der OWK-Ortsgruppe konnte "Mitstreiter" aus vielen anderen Ortsvereinen begrüßen, unter anderem aus Amorbach, Buchen, Walldürn und Mosbach. Die Exkursion war somit sehr gut besucht und bei den vulkanologischen Kurzvorträgen des Geographen und Geologen scheint der Funken durchaus übergesprungen zu sein ...

Dass der Katzenbuckel nicht nur der höchste Berg des Odenwaldes, sondern auch geotouristisch ein echtes Highlight ist, wurde dem längst erloschenen Feuerberg bereits in der wie immer kurzweiligen Ansprache von Landrat Dr. Achim Brötel attestiert. - Einhundert Jahre OWK Waldbrunn! Dieses Jubiläum ist wahrlich geschichtsträchtig und beachtlich. Auch das Projektbüro proreg gratuliert der OWK-Ortsgruppe Waldbrunn, vor allem der engagierten Vorsitzenden Helgard König!

Zum runden Geburtstag eines örtlichen Wandervereins seien hier noch ein paar schweifende Gedanken auf einen essayistischen Trampelpfad zwischen Trend und Tradition des Wanderphänomens geschickt - ein Blick zurück, ein Blick nach vorne ...

Fraglos - den Wandervereinen fehlen junge Mitglieder, wie auch die Vorsitzende des OWK Waldbrunn und der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises reflektierten. Dass dies viele Gründe hat, wurde in den Ansprachen ebenso angedeutet. Diese Entwicklung liegt mit Sicherheit nicht am mangelnden Engagement vieler OWK-Ortsgruppen. Vielmehr schlägt das Pendel der Lebensstile seit Jahren schon verstärkt in Richtung Individualität, und dieser Trend trifft eben in hohem Maße auch unsere Wandervereine.

Wandern ist zwar seit den 1990ern wieder zu einer touristisch höchst bedeutenden Marke geworden, wie etliche Studien belegen, dennoch führt die neue Begeisterung für den Gehgenuss in naturnahen Landschaften nicht zu einer Zunahme der Wandervereinsmitgliedschaften, wie dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war.

Dokumentiert ist: Rund 40 Millionen Deutsche wandern. Das sind über 55 % der Bevölkerung. In den Wandervereinen organisieren sich maximal 3-4 % der Bundesbürger. Fazit: Weit über 90 % der deutschen Wanderer praktizieren das Wandern am Anfang des 21. Jahrhunderts lieber vereinsfrei. Das derzeitige Durchschnittsalter der in den Vereinen organisierten Wanderer macht die Prognose eines weiteren Mitgliederschwundes in den nächsten 20 Jahren zum wohl unumgänglichen statistischen Faktum, sofern nicht – was soziologisch kaum zu erwarten ist – eine Trendwende zu anderen Konsequenzen überleiten sollte. Aus der Trendforschung, die zunehmende Individualität, Selbsterfahrung und „Selfness“ prognostiziert, ist jedenfalls keine Änderung dieser Marschrichtung auszumachen.

Individualität schlägt Vereinsmeierei? Dies sind sicherlich nur Schlagworte ohne allzu großen Aussagewert. Doch man kommt nicht drum herum: Die Wandervereine scheinen heute längst nicht mehr als Attraktoren für nachrückende Wandergenerationen tauglich, selbst wenn Manuel Andrack in seinem neuen Gehkultbuch dazu aufruft, den Wandervereinen beizutreten.

Somit findet sich fraglos auch die Planungs- und Umsetzungskompetenz seit langem nicht mehr allein bei den Wandervereinen, sondern deckt im Zeitalter der Wissensgesellschaft vielfältige Aktivitäten ab und bietet nicht nur GPS-Freaks jede Menge Spielräume irgendwo zwischen wandersportlichem Ausschritt und digitalem Auftritt sowie etlichen Profis und Experten neue und innovative Dienstleistungsfelder. Mit dem Wandertrend unserer Tage geht eine neue Professionalisierung einher, etwa im Bereich der Wegeplanung, des Marketings oder der Navigation - von der ausufernden Outdoorbranche für Bekleidung und Ausstattung gar nicht zu sprechen.

Dadurch ist natürlich auch der Versuch einer Marktpositionierung, welcher die vereinseigene Phalanx als alleinigen Ansprechpartner für alle wandertouristischen Belange präsentieren möchte, längst überkommen. Hier ist heute auf allen Seiten Wettbewerbsethik gefordert, bei Planungsbüros ebenso wie bei den unternehmerischen Zweigstellen in den regionalen Vorstandschaften einiger deutscher Wanderklubs, die gerne und verdientermaßen mit traditioneller Ehrenamtlichkeit kokettieren, parallel dazu aber einen dem Markt durchaus entsprechenden, mit Tagessätzen honorierten Dienstleisterweg einschlagen – eine Ambivalenz, die den freien Markt manchmal etwas ad absurdum führt und vielleicht im Lauf der kommenden Jahre erst noch weiter zur eindeutigen unternehmerischen Profillinie zurecht wachsen muss.

Letztlich können ja gerade aus der Dienstleistungsvielfalt wirklich neue Wege der Produkt- und Qualitätsentwicklung in den Wanderdestinationen entstehen. Für den Tourismusmarkt wäre es schlichtweg kontraproduktiv, nicht vereinsgebundene Mitbewerber vom Spielfeld zu schicken, damit die einflussreiche Liga der Wandervereine am Ball bleiben kann. Dienstleister und Auftraggeber müssen erkennen, schätzen und differenzieren lernen, was für die Wanderinfrastruktur bereits von Vereinen geschaffen wurde und was für die innovative Entwicklung nun auch von vereinslosen Anbietern geleistet werden kann und – aufgrund der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse und Trends - auch zunehmend geleistet werden muss.

Zu dem jedenfalls, was im Odenwald bereits geleistet wurde, haben die wanderfreudigen OWK-Ortsvereine über Jahrzehnte hinweg ganz wesentliche Beiträge vollbracht - und diese Beiträge sind und bleiben bedeutend und ihrer Bedeutung angemessen zu würdigen! "Das Heute halte die Vergangenheit umschlungen mit der Erinnerung, und die Zukunft mit der Sehnsucht", schrieb einst Khalil Gibran. Auch wenn das Heute längst vielfältiges Wanderneuland jenseits der Vereinstätigkeiten erschlossen hat, so hat die Vergangenheit dennoch ihre Spuren - und Infrastrukturen - hinterlassen und erweist sich gerade an einem so beachtlichen Jubiläumstag wie dem des hundertjährigen Ortsvereins Waldbrunn als sehr lebendig. Und dies nicht zuletzt durch eine engagierte Vorsitzende wie Helgard König, die in ihrer Ansprache das Gestern in die Gegenwart zurückholte, indem sie mit einer kleinen Zeitreise anhand alter Presseberichte das Gründungsjahr 1911 und die Dimension von einhundert Jahren Vereinsaktivität begeisternd veranschaulichte.

Ob die Wandervereine auch in Zukunft frischen Wind bekommen und neue Formate schaffen, wie beim Deutschen Wanderverband ja durchaus zu beobachten, oder ob der Drang einer Internetgeneration - die übrigens keineswegs von der Natur abgewandt sein muss - zu individuellen und offenen Strukturen führen muss ... - nun, letztlich wird es nur eine zeigen können: die Zeit.

Fotos: OWK (mit freundlicher Genehmigung)

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