Wanderplanung zwischen Wegesystem und Markenbildung
(Entwurf)
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Der Ausgangspunkt der Wanderweg-Zertifizierung liegt in den empirischen Gästebefragungen, die in den 1990er Jahren vorgenommen und ausgewertet wurden, sowie in der Idee, zeitgemäße und professionelle Qualitätsentwicklung in die Wanderplanung einzubringen. Erstmals hielt eine spezielle Wander- und Trendforschung Einzug in den Wandertourismus. Diese Entwicklungen sind eng mit dem Namen Rainer Brämer verbunden. Deutscher Wanderverband und Deutsches Wanderinstitut waren und sind die Instanzen, die diesen Weg Schritt für Schritt weitergingen.
Seit den 90ern ist viel passiert. Etliche zertifizierte Wege sind entstanden; zunächst die Mehrtagesstrecken, die dazu dienen können, eine ganze Region zu vermarkten und als Destination attraktiver zu machen. Dann hob sich der Trend zu Eintagestouren (mit etwa 8 bis 15 Kilometer) wiederum aus der Matrix der großen Steige hervor und "Traumschleifen", "Extratouren" oder anderweitig benamte zertfizierte Tagesrundwege ergänzten das Bild. Durchaus ohne die zuvor errungenen Entwicklungen aufzuweichen: die großen Wandermarken im Mehrtagesformat behielten ihre imagekommunikative Regionalbedeutung bei.
Ein gewisses Risiko für die Markenbildung ergab und ergibt sich durch die Masse allzu vieler neuer Steige; gegen die Aufweichung der Gütezeichen wirkte und wirkt wiederum ein Ranking im interregionalen Wettbewerb, das sich vor dem Hintergrund professioneller Qualitätsentwicklung, sicherlich auch stark vom Marketing beeinflusst, herausbildete.
Eine der aktuelleren Entwicklungen ist der Vorstoß zur wandertouristischen "Qualitätsregion", die man als neue "Innenverdichtung" begreifen könnte: es geht darum, den Wanderwegebestand in der Fläche (wieder und weiter) zu optimieren. Dabei muss sicherlich nicht jeder verbesserte Wegeabschnitt ein gesondertes Zertifikat erhalten, zumal Exklusivität ja durch Quantität ad absurdum geführt wird.
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Wenn man sich die Entwicklung auf dem Wandermarkt anschaut, kann man heute zwei Entwicklungen beobachten, die nach wie vor dabei sind, sich miteinander zu arrangieren: Einerseits sieht man die Zertifizierung vieler neuer (langer und kurzer) Wege, andererseits müssen gerade die Wandervereine, aber im Grunde genommen auch die regionalen Touristiker, bemüht sein, eine verstehbare, in sich logische und abgestimmte Struktur des Wegenetzes zu gewährleisten:
Neue Wegetypen wollen in ein flexibles infrastrukturelles System eingebunden sein, ohne dass die Markenbildung besonderer Prädikatswege dadurch ausgebremst würde. Auch ein gewisser interkommunaler Wettbewerb - also zwischen Gemeinden, die sich bei der Ausweisung von qualitativ hochwertigen Wegen hervortun - kann die Gesamtentwicklung einer Wanderregion stärken und sollte durch allzu strikt vorgegebene Richtlinien nicht zwangsläufig unterbunden, aber möglichst fachlich begleitet werden. - Vereinheitlichung versus Markenbildung: eine Gratwanderung.
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Wagen wir ein Brainstorming: Ein denkbarer Ausweg aus der skizzierten Ambivalenz wäre darin zu finden, erstens das gesamte Wegenetz in der Fläche qualitativ zu optimieren, zweitens eine Hierarchie der Wegequalität zuzulassen und Markenbildung durchaus zu fördern, drittens diese Kombination in eine flexible, sowohl horizontale (flächenhafte) wie vertikale (hierarchische) Struktur zu bringen.
Interessante Ansätze findet man hierzu beispielsweise in einem 2012 erschienenen Positionspapier des Schwarzwaldvereins: http://schwarzwaldverein.de/cms_upload/files/_wege/positionspapier_wege_120612.pdf
Doch bei dem erforderlichen Klassifizierungs- und Lenkungsprozess wird noch eine weitere Kraft, der freie Markt der Kommunen und der Touristiker nämlich, immer wieder Dynamik ins Spiel bringen, neue Herausforderungen schaffen. Und, nicht zu vergessen, auch die Trends entwickeln sich weiter, die Rahmenbedingungen wandeln sich, die Karten werden aufs Neue gemischt. Man muss sich auf dem mittlerweile schnelllebigen Wandermarkt mit einer flexiblen Zielausrichtung arrangieren, mit einem "dynamischen Gleichgewicht", das von Zeit zu Zeit immer wieder einmal innovative Veränderungen mit sich bringen wird.
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Was man daher gut brauchen könnte, ist eine vernetzte regionale Plattform unterschiedlicher Handlungs- und Entscheidungsträger, die auf - nicht zu starre - einheitliche Strukturen achtet und dabei Wanderforschung und Trends unmittelbar im Auge behält. Die Wandervereine können hier nach wie vor viel leisten, allerdings sind unter den heutigen Bedingungen einer individualisierten Wissensgesellschaft - und hier muss die Perspektive des oben genannten Positionspapiers durchaus noch erweitert werden - auch vereinsfreie Wanderkompetenz, unternehmerische Professionalität, interaktives Customer Relationship Management sowie Tourismusmarketing und Trendforschung in ein regulierendes Netzwerk einzubeziehen.
Also ein "Qualitätsnetzwerk Wanderkompetenz": eine regionale Kommission aus Experten, Interessierten und Interessenvertretern, die ihre Vorstellungen, ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen in "Wander-Workshops" und anderen partizipatorischen Foren abwägen, empirisch abgleichen und in maßgebliche Leitbilder einordnen kann. Neue Strukturen der Wanderwege benötigen neue Organisationsformen in der Wanderplanung. Lockere Communities ersetzen zu eng gewordene Vereinsbindungen. Dynamische Entwicklungen brauchen moderierte Kommunikation. Vielfalt braucht Rundumblick.
Die Vision: Auf der Gratwanderung zwischen Vereinheitlichung und Markenbildung, zwischen traditionellen Strukturen und innovativer Dynamik, bahnt ein interaktives "Qualitätsnetzwerk Wanderkompetenz" den Weg zum regionalen Wandermarkt 2.0.
11.12.2012
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